Montag, 4. Juli 2011

Wortlos in Credia

Salvatus Crain schenkte seinem Gegenüber einen aufmerksamen aber ernsten Blick, während dieser dazu anhob erneut die Dringlichkeit seines Anliegens vorzutragen.
Der laut sprechende Mann vor Crain war Corvus Mûn A`Horem. Seines Zeichen erster Ritter und Hoher Templer des Ordens der Rose. Damit gehörte er einer der größten Gilden in Credia an und dementsprechend trat er auch auf.

Crain schenkte ihm also sein Ohr und einen Teil seiner Aufmerksamkeit. Mit dem anderen Teil genoss er es mit den Gedanken der Mätresse zu spielen, die in der Kutsche am Fuße der Treppen zur Gildenhalle auf Corvus Mûn A`Horem wartete. Sie war gerade 20 Jahre alt geworden und hatte seinem Jahrhunderte alten Geist nichts entgegenzusetzen. Er sog ihre Vitalität in sich auf und genoss das absorbierte Gefühl von Jugendlichkeit in dem er seinen Geist badete.

„..insofern frage ich eure Lordschaft erneut, werdet ihr euch in  dieser Angelegenheit  auf die Seite des Bündnisses der vier Sterne schlagen oder nicht?“ Dröhnte die Stimme von Corvus an sein Ohr.

Crain blinzelte Mûn A`Horem an, legte die Hand auf seine Schulter, induzierte ihm eine gehörige Portion Vertrautheit und setzte eine entschlossene Mimik auf. „Sicher Corvus, Ihr könnt euch in dieser Angelegenheit ganz darauf verlassen, dass die Belange der vier Sterne nicht im Geringsten einen Verlust ihrer politischen Integrität – sowohl finanziell als auch strategische erleiden werden. Soweit es die Inquisition anbelangt, sind wir uns einig. Auch wenn ich nicht umhin komme festzustellen, dass eure Aktivitäten in Rankin einiges an Aufsehen im Konzil verursacht haben! Wir sind davon überzeugt, dass Ihr eure Optionen diesbezüglich nur oberflächlich abgewogen habt und schätzen eure Bemühungen die Angelegenheit nun gründlich prüfen zu wollen.
Insofern denke ich, dass Ihr es seid, der eine Entscheidung zu treffen hat – nicht wahr?

Mit diesen Worten klopfte er dem jungen Adligen auf die Schulter und schob sich an ihm vorbei die Treppe des Konzils hinab. Corvus würde noch eine Weile brauchen, bis er wieder zu Sinnen kommen würde.

Weit war Salvatus Crain nicht gekommen, als er an der Kreuzung zum Palastviertel die Anwesenheit von Liseya spürte. Sie gehörte zu seinen jahrelangen Vertrauten und war erst in der Nacht zuvor von einer längeren Reise zurückgekehrt.
Als die Sänfte die Kreuzung bereits fast überquert hatte, erblickte er sie auf den Stufen des Konservatorium Arcanum, der Akademie der magischen Künste zu Credia. Auf den Stufen der Akademie fanden jeden Nachmittag die Gastreden einiger Dozenten und Studenten statt und zogen traditionell viele Schaulustige und tatsächliche Interessierte an.

Sie stand etwas abseits an einer der zwölf großen Säulen, die im Bogen um den Eingang zur Akademie standen. Jede von ihnen trug das marmorne Abbild eines Magisters der Akademie und maß etwa 10 Meter in der Höhe und gute 2 Meter in der Breite. Liseya trug die unauffällige Kleidung eines Studenten der Akademie. Eine Knielange einfache Tunika aus hellem blauen Leinenstoff und dem dunkel-blauen breiten Streifen, der mittig vom Kragen bis zum unteren Saum des Gewandes lief. Als einzige Verzierung war auf der Brust das Zeichen der Akademie zu erkennen. Ein Kreis mit doppeltem Rand, an dessen äußerer Kante elfische Runen den Leitspruch der Akademie „Wissen ist Macht und Macht ist Wissen“ zeichneten. In der Mitter prangte die einäugige Pyramide, deren Spitzen den Rand des Kreises berührten.

Er ließ sie noch einen Augenblick zappeln, dann senkte er seine geistige Barriere und gewährte ihr Einlass zu seinem Geist.
In gewohnt respektvoller Weise begrüßten sich die beiden.
„Eure Informanten hatten Recht."  übermittelte sie ihm. "Er ist dort, wo ihr ihn vermutet habt, Meister.“ Bei diesen Worten spürte er, wie seine Lebensgeister zurückkehrten. Viele Jahre war es her, dass er eine ähnlich frohe Nachricht erhalten hatte.

„Sehr gut mein Kind, dann schicke sofort nach Sethural und weise ihn an, sich um die Angelegenheit zu kümmern.“ Sethural war einer seiner besten Männer und er wusste, dass er sich auf ihn zu 100% verlassen konnte.
„Verzeiht Meister, Sethural ist in Byzanz, wohin ihr ihn vor einem Monat  abkommandiert habt.“
Sie hatte recht, ärgerte er sich über seine eigene Unkonzentriertheit. „Dann schicke Trenntus, er wird die Sache erledigen.“
Noch während er diese Gedanken formulierte, fiel ihm allerdings ein, dass Trenntus seit sechs Wochen auf einer Mission unterwegs war, die so geheim war, dass nur er und der Oberste des Ordens davon Kenntnis hatten.
„Nein, doch nicht. Trenntus muss etwas anderes für mich erledigen….“Schnarrte er und merkte wie unruhig sie war, sie wollte sich selbst anbieten, das wusste er. Aber sie war noch nicht so weit.

In diesem Moment kam ihm ein anderer Name in den Sinn. Fast hätte er ihn vergessen. „Ha! Bei den Göttern, ich weiß, wer es machen wird. Der richtige Mann zum richtigen Zeitpunkt!“ – er spürte ihre Enttäuschung bei diesen Worten und ging über sie hinweg.

„Geh zu Magister Grendwald mein Kind und sage ihm, ich schicke Dich und übermittle ihm diese Nachricht:“
Er formte mit seinen Gedanken eine imaginäre Traumkartusche, die nur der Magister würde öffnen können. „Er soll die Nachricht übermitteln. Melde Dich danach wieder bei mir und erstatte Bericht – ich habe heute Abend noch einen Auftrag für Dich.“

Mit diesem Gedanken erreichte die Sänfte das andere Ende des Platzes und verschwand im immerwährenden Trubel der Stadt. Liseya hingegen blieb noch eine Weile nachdenklich an eine der großen Säulen gelehnt und tat so als würde sie den Rednern zuhören.